Die politische Isolation der Schweiz?

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    Viele haben es ja vielleicht mitbekommen, aber die Schweiz hat nun in einer knappen Volksbefragung auf Basis direkter Demokratie für eine Einwanderungshöchgstgrenze gestimmt und somit effektiv den freien Personenverkehr von Mitbürgern schweiz-ausländischer Staaten eingeschränkt. Prekär an der Situation ist natürlich auch, dass die Initiative von einer rechtskonservativen Partei ausging (SVP - Schweizer Volkspartei). Das dann tatsächlich mehr als die Hälfte der Stimmen für das Ja ausfallen, ist bedenklich. Man erinnere sich auch an die Plakate, mit denen gegen den Bau von Minaretten gewettert wurde: eine Schweiz(er Flagge) durchbohrt von Minaretten. Ein sehr interessantes Kunstwerk dazu war mal auf einer Vernisage zu sehen: die Umrisse der Türkei mit türkischer Flagge, durchbohrt von Kirchtürmen.
    Wo früher noch EU Bürger mit einer Jobzusage in der Schweiz problemlos einwandern konnten, wird es nun hier Hürden geben.


    Die EU reagiert bis jetzt entsetzt über das Ergebnis und die offene Frage hängt im Raum, ob man bilaterale Verträge und Begünstigungen die die Schweiz erfahren hat mal überdenken sollte. Denn die Schweiz ist zwar nicht in der EU, hat aber über Abkommen und Verträge von der EU profitiert; sonst hätte sie vermutlich schon längst touristisch/wirtschaftliche Probleme als isoliertes Land inmitten der EU bekommen.


    Hat die Schweiz nun endgültig einen rechtsruck hinter sich? Oder war die Schweiz schon immer ausländerfeindlich und das tritt nun offener zu tage? Wird die Schweiz nun isoliert von der EU, und kann sie das wirtschaftlich und touristisch verkraften?


    Ich finde das Abstimmungsergebnis schockierend, aber nicht ganz überraschend. Die Schweiz hatte ich schon lange als ausländerfeindliches Land in meinem Gedächtnis gespeichert, sogar als eines der ausländerfeindlichsten Ländern in Europa. Vielleicht fällt es niemanden auf, weil es in Europa noch ganz andere Kollegen gibt, die lauter Brüllen. Das Abstimmungsergebnis scheint mir zumindest recht zu geben; auch, dass ein österr. Freund von mir, der einen Job in der Schweiz erhalten hatte, im Ernst ein Einwanderungsgespräch führen musste...ob er sich der schweizer Kultur anpassen könne. Die kann doch wohl kaum so unterschiedlich von Österreich sein ^^


    Was meint ihr, und vor allem, die Schweizer im Forum?

  • Man man wie masslos übertrieben wird. "Isolation der Schweiz" "ausländerfeindlich". Das hat rein nichts mit ausländerfeindlich zu tun, dass du das Wort in den Mund nimmst zeigt dass du dich nicht richtig ausseinander gesetzt hast mit dem Thema. Ich glaube zwar dass das zukünfigt nur sehr geringe Auswirkungen zeigt bzw. bekommen wir nichts davon mit.

    • Offizieller Beitrag

    Hat die Schweiz nun endgültig einen rechtsruck hinter sich? Oder war die Schweiz schon immer ausländerfeindlich und das tritt nun offener zu tage? Wird die Schweiz nun isoliert von der EU, und kann sie das wirtschaftlich und touristisch verkraften?


    Das ist zu allgemein formuliert und trifft das Problem nicht wirklich. Von mir gibt es dazu später noch mehr, im Moment aber nur so viel:


    Ich bin auch entsetzt und finde es äussert bedenklich, dass man mit einer Panik-Kampagne eine Mehrheit hinter sich scharen kann. Mein Frust sitzt sehr tief.


    Allerdings müssen sich alle gemässigten politischen Kräfte in der Schweiz auch einiges vorwerfen lassen, denn es gibt in der Schweiz Probleme, welche nicht angegangen wurden. Nun steht man vor einem Scherbenhaufen und schiebt sich wiederum die Schuld gegenseitig zu. Schwach.


    Mfg
    Aerith's killer

    • Offizieller Beitrag

    Ich teile deinen Frust AK.
    Auch in Österreich wird gerne mit ausländerfeindlichen Parolen Panikmache geschürt und die rechtsgerichtete Partei bekommt dann guten, aber zum Glück nicht überschwenglichen, Zuspruch. Dennoch bedenklich viel. Da kann man den gemäßigten politischen Kräften auch bei uns Vorwürfe machen, die fast schon fahrlässig gemäßigt sind und dabei zusehen.


    Ich habe mir auch gerade ein paar Plakate der SVP angesehen. Da muss man einfach sagen, dass die ausländerfeindlich sind, das wäre eher Augen verschließen, wenn man das nicht laut sagt. Wir sollten nicht in einer Welt leben müssen, wo sich braunes Gedankengut wieder langsam durch die Hintertür mit schmeichelnden und scheinbar harmlosen Worten in die Gesellschaft einnnistet, bevor dann ein paar Generationen sich unsere Kindeskinder wundern "Wie konnte man das damals nur nicht merken?".
    Damit steht aber die Schweiz natürlich nicht alleine da; viele Staaten haben ihre eigene Rechtspartei, die ihre Ausländerfeindlichkeit hinter Worten wie "Inländerfreundlichkeit" oder "Schutz des heimischen Sozialsystems vor Schmarotzern" und "Schutz der eigenen Arbeitsplätze" verbirgt.


    Und man hat sich damit schon in die politische Isolation gebracht. Das bedeutet nicht, dass jetzt niemand mehr mit der Schweiz reden will, sondern dass die meisten Staaten die Volksentscheidung der Schweiz nicht verstehen oder hinnehmen wollen und nun zukünftig geplante Gespräche mit der Schweiz überdenken werden. Immerhin blockiert die Schweiz damit effektiv den freien Personenverkehr von EU Bürgern in ihrem Land, was nicht mit einem der Grundpfeiler der EU vereinbar ist (mal abgesehen von der Unterschwelligkeit der SVP dahinter).

  • Hab leider grad auch nicht so viel Zeit zum schreiben.
    Aber sogar mir stösst dieser Volksentscheid sauer auf und das obwohl ich sonst eher einen konservativen Kurs verfolge was solche Dinge anbelangt. Wir müssen schauen, dass wir und da nicht zu sehr ins Abseits manövrieren, weil die EU ist da schon am längeren Hebel.

  • Ich finde das Ergebnis so zu interpretieren, dass "die Schweiz" ausländerfeindlich ist höchst fragwürdig. Die Volksabstimmung hatte 56% Wahlbeteiligung und davon haben 50,3% für die Höchstgrenze gestimmt. Das macht eine ungefähre Zustimmung von 25 - 30% unter den Wahlbeteiligten, ich weiß jetzt nicht ab wie viel Jahren man Abstimmungsberechtigt ist und wie viel der 23,2% der Ausländer Wahlberechtigt sind (@braucht man dafür einen Schweizer Pass? Weißt du wie viel % der Ausländer den Schweizer Pass haben?) aber wenn man das addiert werden wohl weniger als 20% der Gesamtbevölkerung für diese Grenze gestimmt haben.


    Die kleine Schweiz hat eine ungefähr genauso große Zuwanderung wie Frankreich, jetzt schon. Viele Schweizer beobachten die EU-Politik und die Wirtschaftskrise und machen sich sorgen um die eigene wirtschaftliche Stabilität. Wenn diese Volksabstimmung so in Deutschland stattgefunden hätte, dann wäre das Ergebnis nicht anders ausgegangen. In den anderen europäischen Ländern kenne ich mich nicht aus, aber da vermute ich das Gleiche.


    Meines Erachtens ist das ein Signal an die europäische Politik. Die EU und somit auch die europäische Wirtschaftszone (an der auch die Schweiz mit bilateralen Verträgen teilnimmt) haben den Menschen mehr Frieden und Wohlstand versprochen, doch seit der Krise 2009 geht es rapide bergab. Die Leute sehen die EU als Gefahr für ihren Lebensstandard an und wollen sie daher wieder abschütteln, ich finde das sehr verständlich. Wenn die europäischen Regierungen nicht wollen, dass die europäische Bevölkerung sich von Europa verabschiedet und gleichzeitig noch rechten Rattenfängern in die Netze läuft, sollte die Struktur der EU anders werden.

  • Ich finde auch, dass die Schweiz als "ausländerfeindlich" zu verurteilen etwas voreilig ist. Natürlich schockieren solche Ergenisse, aber wie Antiheld schon sagte, können solche Volksbefragungen ein sehr verzerrtes Bild einer Bevölkerung geben, da ja nur die aktiven Wähler in das Ergebnis miteinbezogen werden. Bei einer Beteiligung von ca. 50%, von denen wieder nur die knappe Hälfte für die Höchstgrenze gestimmt hat, macht das im Schnitt grad mal ein Viertel der tatsächlichen Wahlberechtigten aus.


    Was mir jedoch noch mehr Sorgen bereitet, sind die ständigen Seitenhiebe auf die EU. Die EU ist nicht der Grund für die Wirtschaftskrise, schließlich ist weiterhin jeder Staat selbst für seine Wirtschaftlichkeit verantwortlich. Das einzige was die EU vorschreibt, sind gewisse Mindeststandards an wirtschaftlicher Stabilität, um überhaupt Mitgleid sein zu dürfen. Wenn aber gewisse Staaten falsche Berichte abliefern, sich so in die EU reinschummeln und dann bei der letzten Depression von 2008 vollkommen zugrunde gehen (Griechenland), dann seh ich die EU mehr als das Opfer, als den eigentlichen Verantwortlichen. Das einzige, was man ihr vorwerfen kann, ist dass sie nicht noch mehr direkt in die Politik der einzelnen Staaten eingreift.

  • Ich bin auch entsetzt und finde es äussert bedenklich, dass man mit einer Panik-Kampagne eine Mehrheit hinter sich scharen kann


    Mich wundert das gar nicht. Auch wenn die Menschheit sich technisch weiterentwickelt hat, hat sie sich psychologisch und gesellschaftlich in den letzten 80 Jahren kaum weiterentwickelt. Die selben Dinge funktionieren immer wieder, da die Menschen nach wie vor von den selben Dingen angetrieben werden. Angst, Gier, Rudeldenken. Schau dir mal den Film "Die Welle" an. Der zeigt ganz gut, wie leicht man ansich Menschen in eine bestimmte Richtung bewegen kann.


    Ich denke nicht das die Schweiz rechts ist. Ich kann mir viel eher vorstellen, das die nicht rechten Parteien einfach nur sehr schlecht darin sind, im Gegenzug die Vorteile von Vielfalt aufzuzeigen.

  • Wenn aber gewisse Staaten falsche Berichte abliefern, sich so in die EU reinschummeln und dann bei der letzten Depression von 2008 vollkommen zugrunde gehen (Griechenland), dann seh ich die EU mehr als das Opfer, als den eigentlichen Verantwortlichen. Das einzige, was man ihr vorwerfen kann, ist dass sie nicht noch mehr direkt in die Politik der einzelnen Staaten eingreift.


    Wie soll die "EU" denn stärker in die Politik der einzelnen Staaten eingreifen und von welchen Staaten reden wir hier denn explizit? Mir kommt es oft so vor (kein Vorwurf an dich!), dass die westlichen Staaten in die Politik der Staaten des "Ostblocks" eingreifen sollen aber das was hier seit 50 Jahren mehr oder weniger reibungslos funktioniert, funktioniert dort erst in 20 Jahren. Ferner ist die Europäische Union sicherlich keine Wohlfahrtsorganisation und handelt auch im eigenen Interesse. So hätte man, das wäre dann nämlich die andere Seite der Medaille, die finanzielle Situation in Griechenland präziser und kritischer prüfen können, bevor man sie aufnimmt. Das schweift aber wohl ohnehin alles zu stark vom Thema ab.


    Ich kann nicht nachvollziehen, wie man eine komplette Nation als "ausländerfeindlich" darstellen soll oder sich die Frage nach der politischen Ausrichtung so eindeutig lösen lässt. Eine "Isolation" in dem Sinne kann Ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, muss aber auch zugeben, dass Ich mich nicht ausreichend mit dem Thema auseinandergesetzt habe.

  • Das dann tatsächlich mehr als die Hälfte der Stimmen für das Ja ausfallen, ist bedenklich.


    Oder war die Schweiz schon immer ausländerfeindlich und das tritt nun offener zu tage?

    ähm.... Da widerspreche ich wehement! Mach mal so eine Abstimmung in Deutschland, Frankreich, Italien oder in den Niederlanden. Da wirst du mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die gleichen Resultate bekommen.
    Nur hat der Rest von Europa im eigenen Land eben nur ein bedingtes Mitspracherecht, was ich eigentlich Schade finde.

    (@braucht man dafür einen Schweizer Pass? Weißt du wie viel % der Ausländer den Schweizer Pass haben?)

    Ja, ohne Pass darf man nicht abstimmen.

    Meines Erachtens ist das ein Signal an die europäische Politik.

    Sehe ich auch so.


    Als man damals über die Personenfreizügigkeit abgestimmt hat, war die Rede von (kann mich nicht mehr genau erinnern) etwa 20'000 zuziehenden pro Jahr. Jetzt sind es aber über 80'000 (wenn ich die Zahl noch richtig im Kopf habe). Viele Bürger fühlen sich jetzt ein bisschen "verarscht", weil diese Zahl so hoch ist.
    80 k sind für ein Land mit 82 Mio. Einwohner nicht so ein Ding, aber wenn man nur 8 Mio hat, sieht das schon anders aus. Wir haben auch nicht unbegrenzt Platz und die Wohnungen werden immer teurer. Dazu kommt nch, dass viele Angst haben, dass die Löhne sinken.
    Da spielen so viele Faktoren mit und dann einfach die Rassimuskeule hervorzukramen halte ich für nicht besonders fair und einfach nicht richtig.
    Die Politik in der Schweiz hat einfach zu lange nicht reagiert und zu wenig auf die Sorgen der Menschen gehört und jetzt haben sie den Salat. Ich bin ein Befürworter der Personenfreizügigkeit, aber mir persönlich gefiel es selbst nicht, dass wir da wenig bis gar nichts steuern konnten. Aber diese Initiative ist der falsche Weg.
    Uns geht es sehr gut in der Schweiz, viel besser als den meisten EU-Ländern. Ergo sind wir für Zuwanderer sehr attraktiv und das man da etwas die Protektionismusschiene fahren will halte ich für verständlich.
    Man konnte bei der Personenfreizügigkeit einfach nicht vorhersehen, was das für Dimensionen annehmen wird. Von daher finde ich könnte man von der EU schon erwarten, dass man hier der Schweiz etwas entgegen kommt. Aber dann wird uns wohl wieder (teilweise auch zurecht) Rosinenpickerei vorgeworfen, obwohl die EU da auch mal vor der eigenen Haustüre fegen müsste...


    Die grösste Sorge der EU ist wohl aber nicht die kleine Schweiz, sondern eine Kettenreaktion in anderen Ländern.

  • Nur hat der Rest von Europa im eigenen Land eben nur ein bedingtes Mitspracherecht, was ich eigentlich Schade finde.


    Das halte ich für nicht tragbar. Die Mehrheit der Personen in einer Gesellschaft sind dumm und ungebildet und haben gar nicht die geistigen Fähigkeiten zu überblicken, welche Tragweite solche Entscheidungen haben. Was dann bei raus kommt, sieht man ja.

  • Ausserdem fahren wir mit dem System sehr gut und das seit langer Zeit.


    Die Frage ist nur: Wie lange noch? Die Neutralität und Isolation der Schweizer besteht schon seit dem 16. Jahrhundert, zu einer Zeit, als sich die zwei europäischen Großmächte Habsburger und Frankreich noch gegenseitig mit Freuden die Köpfe einschlugen und Europa für die kommenden Jahrhunderte in ständige Kriege stürzte. Ab Ende des zweiten Weltkriegs und der EU sieht die politische Lage in Europa jedoch gänzlich anders aus. Nicht mehr religiöse oder territoriale Interessen sind das Thema auf dieser Bühne, sondern wirtschaftliche. Und die Wirtschaft in einer globalen Welt geht weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Migration ist hierbei nur eine Begleiterscheinung, die zu bekämpfen auf langer Sicht zu keinem Ergebnis führen wird.


  • Das halte ich für nicht tragbar. Die Mehrheit der Personen in einer Gesellschaft sind dumm und ungebildet und haben gar nicht die geistigen Fähigkeiten zu überblicken, welche Tragweite solche Entscheidungen haben. Was dann bei raus kommt, sieht man ja.

    Ich teile deine Meinung über die Degeneration der Gesellschaft. Doch wenn du in der Linie durchargumentierst und nur die für abstimmungsberechtigt hältst, die es nach der Meinung Anderer sind, landen wir in weitaus schlimmeren politischen Systemen. Weiterhin ist, wie Zweistein es schon sagt, das was in der Schweiz "raus kommt" ist uns doch überlegen, von daher kann da nicht alles so schlecht sein.
    Das, Großteile des Volkes nicht dazu in der Lage sind politisch mündig zu agieren ist meines Erachtens politisch gewollt, denn so kann man auch über sie hinweg regieren. Politische Miteinbeziehung sorgt dafür, dass die Menschen durch die aktive Miteinbeziehung mündiger werden. Genauso könnte man in der Bildungspolitik einiges ändern. Als Politikstudent auf Lehramt kann ich sagen, dass das aber nicht passiert.


    Was mir jedoch noch mehr Sorgen bereitet, sind die ständigen Seitenhiebe auf die EU. Die EU ist nicht der Grund für die Wirtschaftskrise, schließlich ist weiterhin jeder Staat selbst für seine Wirtschaftlichkeit verantwortlich. Das einzige was die EU vorschreibt, sind gewisse Mindeststandards an wirtschaftlicher Stabilität, um überhaupt Mitgleid sein zu dürfen. Wenn aber gewisse Staaten falsche Berichte abliefern, sich so in die EU reinschummeln und dann bei der letzten Depression von 2008 vollkommen zugrunde gehen (Griechenland), dann seh ich die EU mehr als das Opfer, als den eigentlichen Verantwortlichen. Das einzige, was man ihr vorwerfen kann, ist dass sie nicht noch mehr direkt in die Politik der einzelnen Staaten eingreift.

    Das stimmt so ganz und gar nicht. Einerseits gibt der Wachstums- und Stabilitätspakt weit mehr als Verschuldungsgrenze vor und anderseits hat jeder europäische Staat durch die Wirtschafts- und Währungsunion einige Steuerungselemente verloren.


    Um das ganz zu verdeutlichen, bringe ich innerdeutsche Parallelen. Ich komme aus dem Saarland und habe dort auch über 20 Jahre gelebt. Das Saarland ist ein wirtschaftliches sehr schwaches Bundesland, schon auf einem Niveau mit den neuen Bundesländern im Osten. Seit fast 4 Jahren lebe ich jetzt in Baden-Württemberg dort habe ich schon Vollzeit Versicherungspflichtig gearbeitet und studiere dort jetzt Politik, Wirtschaft und Geschichte. Baden-Württemberg ist das wirtschaftlich stärkste Bundesland.
    Das Saarland und Baden-Württemberg haben eine solch unterschiedliche wirtschaftliche Leistungskraft, dass Lohnniveau, Lebenshaltungskosten etc. trotz der niedrigen Entfernung sich wirklich erheblich unterscheiden. So stark wie es sich auch zwischen 2 anderen europäischen Staaten unterscheiden könnte. Wenn beide Bundesländer eigene Staaten wären, müsste Baden-Württemberg weitaus höhrere Renten, Sozialausgaben etc. haben weil das Land es sich mehr leisten kann. Trotzdem sind die Raten für Sozialausgaben gleich. Das funktioniert nur, in dem Baden-Württemberg den Sozialstaat des Saarlandes über den Bundeshaushalt mitfinanziert. Würden sie das nicht tun, würden bald keine Menschen mehr im Saarland leben, da einfach alle nach Baden-Württemberg ziehen würden. Zusätzlich bekommen Länder wie das Saarland aus dem Landesfinanzausgleich noch einen Zuschuss von Baden-Württemberg und Bayern um die saarländische Wirtschaftskraft die Baden-Württembergs anzugleichen (was trotzdem nicht funktioniert).
    Als die Länder in die Europäische Wirtschaftszone aufgenommen wurden, mussten sie nicht nur weniger als 60% des BIP Schulden haben (inzwischen hat das nicht mal mehr Deutschland, Deutschland selbst würde heutzutage nach den Maßstäben nicht mehr in die EWU aufgenommen werden!!!) sondern es gab auch eine Wachstumsvereinbarung. Alle Länder sollten das gleiche Wachstum erstreben, damit sich die soziale Begebenheiten anpassen und nicht wie bei den deutschen Bundesländern ein Land das andere mitfinanziert. 1. Schaffen unsere eigenen Bundesländer nicht sich anzugleichen, obwohl es Zuschüsse gibt und der Bundeshaushalt die Sozialkosten abfängt, wie sollte Griechenland sich uns ohne solche Hilfe anpassen? 2. Haben Länder wie Griechenland oder Portugal diese Wachstumsvereinbarung nicht nur unterschritten, sondern Deutschland hat sie auch überschritten. Somit war es für Griechenland gar nicht möglich sich an Länder wie Deutschland anzupassen, selbst wenn sie die Vereinbarung eingehalten haben.


    Der zweite große Punkt ist, dass das Deutsche Wachstum aus dem desolaten Abschneiden der anderen Länder resultiert. Bei uns wurden die Löhne so drastisch gesenkt, dass das unseren Export extrem angekurbelt hat und wir unsere Produkte so günstig angeboten haben, dass Länder wie die Griechen massenhaft bei uns eingekauft haben. Das hat deren Wirtschaft kaputt gemacht und unsere Wirtschaft zum Blühen gebracht. An unser Niveau konnte sich Griechenland nicht anpassen, da deren Lebenshaltungsniveau schon weitaus schlechter als unsere war noch mehr nach unten gehen würde Armut bedeuteten.
    Hätte es den Euro und die EWU nicht gegeben, hätte Griechenland durch eine Abwertung der Währung die eigene Wirtschaft vor der Wirtschaft der deutschen schützen können. Das funktionierte so nicht mehr.


    Nun greift die EU und die Troika dort ein, und befehlt den Leuten ihre Sozialausgaben zu kürzen um mit uns mitzuhalten. Das geht dort nicht so einfach, denn dadurch sitzen Millionen Menschen auf der Straße. Gleichzeitig wir darauf gepocht, dass Rüstungsausgaben und Kredite bei Banken trotzdem gezahlt werden, denn das sind deutsche Banken und deutsche Rüstungsfirmen.


    Natürlich, sind die Griechen nicht auf unserem Niveau und natürlich sind Steuermoral etc. dort wirklich desolat. Doch als die Griechen noch ihre eigene Wirtschaft hatten, hat es trotzdem funktioniert und jetzt sind die unseren Firmen im offenen Wirtschaftsraum ausgeliefert. Das Griechische Volk ist weder Schuld an der Steuermoral noch am EU-Beitritt das sind beides die griechischen Regierungen gewesen. Wenn jetzt in Griechenland Wahlen sind unterstützt unsere Regierung diese Parteien, die an dem Debakel Schuld sind, denn sowohl in Griechenland als auch bei uns gibt es viele die von solch einer Lage profitieren, doch das wird in der BILD nicht so breitgetreten wenn die "Pleitegriechen von uns Geld bekommen".


    Entweder müssen Länder vor einem politischen Eintritt auf dem gleichen Niveau sein (nicht nur Schulden sondern auch Löhne, Sozialstaat etc.) oder die starken Länder finanzieren die schwachen mit, das ist bei den Bundesländern halt auch so.
    Die alternative, dass das Volk einfach durch Herabsetzung der Sozialstandards ausgeblutet wird, lässt sich das Volk nicht bieten. Daher profitieren Parteien am rechten und am linken Rand.


    Um wieder auf die Schweiz zu kommen: Wenn Deutschland oder noch wahrscheinlicher Italien ebenfalls abrutscht werden Leute auswandern und zwar noch stärker als sie das jetzt schon tun. Die Schweiz haben jetzt schon viel Zuwanderung und wie Zweistein es richtig sagt sind sie ein kleines Land mit 8 Millionen Einwohnern, dass sie sich da Sorgen machen ist doch berechtigt. Im Gegensatz zu Deutschland im Bezug auf Griechenland, hat die Schweiz die Länder vor denen sie sich abschottet auch nicht vorher ausbluten lassen.

    • Offizieller Beitrag

    Ja, die Initiative war ein Ventil, leider war es das völlig falsche...


    Ich bin ein klarer Befürworter der Personenfreizügigkeit, aber auch ich habe in letzter Zeit ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache bekommen, da die Zuwanderung derart stark zugenommen hat. Viele Ausländer hatten wir schon immer in der Schweiz, aber deshalb ist das Thema auch sehr heikel und die Stimmung kann sehr schnell kippen. Zum Vergleich: In der Schweiz leben deutlich über 20% Ausländer, in Deutschland ist es nicht einmal die Hälfte. Und mit solchen Zahlen kann man wunderbar Wahlkampf betreiben. Dann wurde noch schnell hochgerechnet, dass im Jahr 2050 mehr als 50% der Einwohner in der Schweiz Ausländer sein werden und fertig ist das Horrorszenario. Klar, man kann diese Zahlen nicht 1:1 hochrechnen, das weiss ich natürlich. Aber dass da der eine oder andere ins Grübeln kommt, das sollte auch verständlich sein.


    Eine weitere Statistik hat zudem die Runde gemacht: Über 70% der Gefängnisinsassen in der Schweiz sind Ausländer. Glaube ich deshalb, dass alle Ausländer kriminell sind? Nein, aber damit kann man wiederum wunderbar Wahlkampf betreiben.


    Zudem gibt es reale Probleme in der Schweiz, die für Verunsicherung sorgen. Es gibt viele Verbrecherbanden, die illegal einreisen und auf veritable Beutezüge gehen. Zudem gibt es immer mal wieder Probleme mit Asylbewerbern. Medial aufgebauscht zwar, aber man darf das auch nicht einfach ignorieren. Was haben nun kriminelle Banden und Asylbewerber mit der Personenfreizügigkeit zu tun? Nichts, aber damit kann man wunderbar... ihr kennt das ja bereits.


    Weitere Probleme: Wohnungsknappheit, verstopfte Strassen, überfüllte Züge. Versucht einmal, eine Bleibe in der Nähe von Zürich zu finden, es ist unmöglich und die Preise sind exorbitant. Schuld daran ist eine verfehlte Raumplanung und zu zögerliche Investitionen in die Infrastruktur. Aber damit kann man wunderbar...


    Was hat die Politik getan, um diese Probleme zu lösen? EINEN SCHEISS! Sorry für die Wortwahl, aber das regt mich echt auf. Stimmen tuts zwar nicht in dieser Deutlichkeit, aber so kommt es vielen vor. Denn es hätte ja nicht soweit kommen müssen... die SP (linker als die SPD) pocht auf Mindestlöhne, was aber gegen die bürgerliche Mehrheit keine Chance hatte. So kam es zu Lohndumping, vor allem im Kanton Tessin. Das Tessin hat mit 68% ja gesagt zur Initiative. Überraschung? Nein.


    Die FDP (wichtiger als die in Deutschland^^) versuchte das Problem über restriktivere Asylpolitik zu lösen. Mitte-links war dagegen. Und nun zeigen alle mit dem Finger auf den anderen.


    Was sind nun die Folgen? Vermutlich wird es nun schmerzhaft. Fällt die Personenfreizügigkeit, fallen auch alle anderen bilateralen Abkommen, das ist so mit der EU ausgehandelt. Ohne bilaterale Abkommen gibt es... ja, das weiss noch keiner so richtig. Strafzölle gegen CH-Produkte? Fachkräftemangel in der Schweiz? Denn die meisten Zuwanderer sind gut gebildet und essentiell für die Schweizer Wirtschaft, also unter dem Strich profitiert die Schweiz extrem von den Beziehungen zur EU. Aber das wurde viel zu wenig aggressiv betont im Wahlkampf.


    Die Abstimmung betrifft nicht nur die Situation in der Schweiz, in anderen europäischen Ländern wird das nicht viel anders aussehen. Ich habe aber wenig Hoffnung, dass in der EU die Probleme nun angegangen werden, denn jetzt kann man ja schön auf die böse Schweiz zeigen, welche es ihren dummen Bürgern erlaubt, ihre Meinung zu sagen. Was für ein Fehler!


    Mfg
    Aerith's killer

  • Die andere Frage ist, ob überhaupt was passiert. Die Initiative ist ja recht offen formuliert und lässt Spielraum offen. Der Bundesrat könnte ja, die Kontingente so hoch ansetzen, dass Brüssel zufrieden wäre. Ich hör die SVP schon toben! :D
    Auf nationaler Ebene funktionieren die Volksinitiativen eigentlich wunderbar, aber sobald was völkerrechtliches betroffen ist sieht es eher mau aus. Die Ausschaffung krimineller Ausländer wurde auch nicht so umgesetzt wie sich das die SVP eigentlich erhofft hat. Die Gefahr, dass so eine Initiative "aufgeweicht" wird besteht natürlich immer.

    • Offizieller Beitrag

    Was ist Ausschaffung? Ausweisung aus dem Land? Klingt ja putzig, Ausschaffung :D


    Das ist ein guter Einwand von dir, Zweistein: Dass der Bundesrat die Quoten so exorbitant hoch ansetzen kann, dass es keinen Effekt hat und die SVP durch die Finger guckt.


    Auch habe ich hier Rechnungen gelesen, dass nicht 50% der Schweizer jetzt für das Gesetz gestimmt haben, weil ja nur 40%, glaube ich, hingingen. Ja das stimmt schon...aber wieso haben sich nicht die restlichen 60% Wahlbeteiligten erbarmt, gegen das Gesetz zu stimmen? Vielleicht weil doch eine gewisse Sympathie dabei war.


    Klar kann man jetzt auch nicht jedes Land unverhältnismäßig mit Menschen zustopfen. Jedes Land hat seine Ressourcen und somit eine gute Kapazität um Menschen zu erhalten, die halt irgendwann ausgeschöpft ist. Da bin ich zu wenig Schweizer, um zu wissen, wie "kritisch" die Lage wirklich ist.


    Wie gesagt habe ich mit meinem Empfinden die Schweiz schon immer als ausländerfeindlicher als andere Nationen gesehen...aber fast schon gut auf gleicher Höhe mit Österreich, zumindest die Bevölkerung und nicht die offene Politik. Da nehme ich meine Heimat nicht aus und finde da jeden Wahlerfolg, der mit rechten Parolen und Angstmacherei gewonnen wurde, einfach nur mies.


    Und unsere Politiker haben auch viel verschlafen, wo die Rechten sich jetzt einschießen drauf, schnell mit Ausländer in Verbindung bringen und schon kriegen sie guten Zustrom an Menschen, die einfach genug haben und gerne einen Sündenbock haben. Weil dass Schweizer/Österreicher etwas verbockt und in den Sand gefahren haben, ist unmöglich...das waren immer nur die bösen Ausländer.

    • Offizieller Beitrag

    Auch habe ich hier Rechnungen gelesen, dass nicht 50% der Schweizer jetzt für das Gesetz gestimmt haben, weil ja nur 40%, glaube ich, hingingen. Ja das stimmt schon...aber wieso haben sich nicht die restlichen 60% Wahlbeteiligten erbarmt, gegen das Gesetz zu stimmen? Vielleicht weil doch eine gewisse Sympathie dabei war.


    Die Wahlbeteiligung lag bei 56%, was für die Schweiz sehr hoch ist. Es geht vielen Leuten eben so gut, dass sie sich nicht um Politik scheren müssen.

    Wie gesagt habe ich mit meinem Empfinden die Schweiz schon immer als ausländerfeindlicher als andere Nationen gesehen...


    Das liegt an unserem konsensorientierten System ohne Regierung und Opposition. Alle grossen Parteien teilen sich die Regierungsverantwortung. Durch dieses politische System sind die Rechten bei uns etwas weiter rechts und die Linken etwas weiter links, da diese Extrempositionen bei der täglichen politischen Arbeit dann wieder abgeschwächt werden müssen. Wobei mir die SVP auch deutlich zu rechts ist, aber das ist ein anderes Thema. Unsere SP will zum Beispiel "den Kapitalismus überwinden" - eine Forderung, welche von der deutschen SPD wohl nicht käme.


    Mfg
    Aerith's killer

  • Finde ich auch! In anderen Ländern kann man davon träumen friedlich seine Stimme zu geben, daher sollten wir es zu schätzen wissen.
    Wobei ich finde dass Jemand lieber nicht abstimmen sollte statt nach Zufallsprinzip Ja oder Nein zu sagen.