Diesmal möchte ich auch wieder ein Buch vorstellen:
Die Kinder von Nebra von Ulf Schiewe

Als Mann vom Fach (Diplom in Archäologie) tu ich mir, ehrlich gesagt, immer etwas schwer mit historischen Romanen. Zu oft habe ich das Gefühl, dass in solchen Geschichten historische Authentizität modernen Glaubensvorstellungen zu weichen hat und weniger Fokus darauf gelegt wird, wie Geschichte wirklich aussah, sondern wie sie aussehen soll. Mit nur wenigen Ausnahmen habe ich deshalb immer einen langen Bogen um solche Bücher gemacht. Die Kinder von Nebra habe ich dann per Zufall in meinem örtlichen Buchladen entdeckt und anders als sonst, war ich sehr neugierig darauf. Einen historischen Roman, der in der Bronzezeit, einer in den Medien viel zu selten besuchten Epoche der europäischen Urgeschichte, spielt, kann ich nicht einfach so ignorieren! Was das angeht sollte ich öfter auf mein Bauchgefühl hören, denn dieses Buch gefiel nicht nur vielen Lesern in deren Rezensionen, sondern auch mir sehr gut.
Die Kinder von Nebra spielt etwa 2000 Jahre vor Christus in der frühen Bronzezeit. Im Mittelpunkt der Geschichte steht, wie schon am Cover zu erahnen, die sogenannte Himmelsscheibe von Nebra, dem heute bedeutendsten Fund dieser Zeit in Mitteleuropa. Die Entstehung wie auch eventuelle Verwendung der Himmelsscheibe (was ja heute nicht ganz geklärt ist) wird umrahmt mit einem spannenden Heldenepos, der von einem Konflikt zwischen einzelnen Klans und ihren Götterwelten erzählt. Protagonistin ist Rana, ein Mädchen und zukünftige Priesterin der Fruchtbarkeitsgöttin Destarte, die sich der Schreckensherschafft von Orkon und dem Kult rund um Hador, dem Gott der Unterwelt, stellt und dabei nicht nur auf die Hilfe ihrer Familie und Freunde angewiesen ist, sondern auch auf jene magische Bronzescheibe, die von ihrem Vater geschmiedet wurde und das göttliche Wissen aus dem Osten, den Sonnenländern, in sich trägt. Diese in ihren Augen von Destarte gesandte göttliche Botschaft will sie nutzen, um ihr Volk in ein neues Zeitalter des Lichts zu führen.
Über die Menschen der frühen Bronzezeit in Mitteleuropa, insbesondere der sogenannten Aunjetitzer Kultur, zu der die Himmelsscheibe gehört, ist vergleichsweise wenig bekannt. Es gibt keine schriftlichen Quellen und alles was wir wissen, wissen wir durch archäologische Hinterlassenschaften. Der Autor schafft es gekonnt, das was wir definitiv wissen und erahnen können mit fiktiven Erklärungen zu Gesellschaftsstrukturen und Religion zu vereinen, ohne dabei zu sehr an den Haaren herbeigezogen zu wirken. So ist z.B. die Götterwelt stark inspiriert vom griechischen und nordischen Pantheon, was Sinn ergibt, da beide Kulturen aus demselben indoeuropäischen Sprach bzw. Kulturraum stammen. Destarte ist das Pendant zu Aphrodite und Hador jenes zu Hades, auch andere vertraut klingende Götter wie Woudan oder Hella kommen vor, aber im Fokus stehen definitiv die beiden erstgenannten. Auch dass die Ruotinger (wie sich die Menschen der Aunjetitzer Kultur in diesem Roman nennen) eine frühe Staatsform gebildet haben, die sich an das hethitische Reich anlehnt (auch indoeuropäisch) ist natürlich nicht mehr nachzuweisen, aber durchaus denkbar. Auch wie die Himmelsscheibe entstand oder wie bestimmte Handwerkstechniken in der damaligen Zeit funktionierten, wird teils aufs penibelste beschrieben. So sehr, dass solche Ausführungen manchmal den Lesefluss etwas hindern können, vor allem wenn man neugierig ist, wie es nun mit der Story weitergeht. Aber das ist schon meckern auf höchstem Niveau.
So kriegt der Roman von mir volle Punktzahl, was sowohl Respekt gegenüber den Quellen, wie auch eine die darum entwickelte spannende und unterhaltsame Geschichte angeht!