Meine dreieinhalb Jahre alte Tochter nennt zwar Luigi beständig Mario, aber Pikachu erkennt sie sofort. Auch dank ihrer sechs Jahre alten Neffen, die sogar schon Pokémon spielen – obwohl sie noch nicht lesen können. Die Tochter eines Freundes ist neun Jahre alt – sie kann schon lesen.
Als er mich fragte, welches Pokémon-Spiel ich seiner Tochter für die Switch empfehlen würde, nannte ich Pokémon Let’s Go. Ich halte es in Sachen Schwierigkeitsgrad für altersgerechter als Schwert und Schild. Der Sohn meiner Cousine war vollkommen verblüfft, als ich ihm sagen konnte, wie die Pokémon auf seinen Sammelkarten heißen. Offenbar hatte er noch keinen Erwachsenen kennengelernt, der Pokémon spielt.
Warum ich euch das erzähle? Weil Mittdreißiger gerne mal vergessen, dass Pokémon in erster Linie ein Spiel für Kinder ist. Seit Generationen begeistert es Kids, darunter die jüngsten. Das ist das Fundament, auf dem das Pokémon-Fan-Dasein steht. Es ist aber auch ein Fundament, das bröckelt. Denn die ältesten Pokémon-Fans haben vor 25 Jahren angefangen, zu spielen und zu sammeln. Wenn sie nicht Pokémon spielen, dann gerne auch mal Metroid Dread, Horizon Forbidden West oder Yakuza: Like a Dragon.
Game Freak hat nicht geliefert
Diese Pokémon-Fans haben viel gesehen in dieser Videospielwelt und sie wissen, was möglich ist. Selbst, wenn sie akzeptieren, dass Pokémon in erster Linie eben Pokémon ist: Performance und Darstellung müssen stimmen. Und hier haben Game Freak und The Pokémon Company eben auch mit Pokémon-Legenden: Arceus wieder nicht abgeliefert.
Auch Pokémon-Legenden: Arceus liefert eine Kind-gerechte Grafik, das muss man verstehen. Aber technische Probleme müssen der Vergangenheit angehören. IGN bemängelt:
Texturen sind hässlich und wiederholen sich, Gras und Bäume sind übermäßig einfach, die Wassereffekte sind absolut bizarr, besonders wenn Pokémon schwimmen. Objekte tauchen in nächster Nähe [plötzlich] auf und sind wieder weg, große wilde Pokémon in der Ferne laufen mit einer quälend langsamen Bildrate, die sie wie in einer Stop-Motion-Animation aussehen lässt. Und um deutlich zu sein, nichts davon ist eine Seltenheit.
Game Informer nennt Pokémon-Legenden: Arceus „kaum ein technologisches Wunderwerk“. Es sei eine „glanzlose technische Leistung, voller Pop-ins, Bildrateneinbrüche und Texturen mit niedriger Auflösung“. Laut VG247 holen die Pop-ins SpielerInnen regelmäßig „zurück auf die Erde“, Pokémon würden mit einer Framerate durchs Bild laufen, die in den 10er-Bereich geht, und die Texturen würden aussehen, als wären sie zwei Generationen alt. Kein großes Medium verschweigt diese Probleme – das muss man auch mal deutlich sagen.
Deutliche Kritik für Grafik-Probleme
Das sind Grafik-Probleme, die sich Game Freak und The Pokémon Company ankreiden lassen müssen. Und sie kriegen sie auch angekreidet, auch wenn das nicht ausnahmslos jeder Pokémon-Fan wahrnehmen will. Denn die Wertungen am Ende sind gut.
Alex Donaldson von VG247 bringt es auf den Punkt: „Das Zeug, das es nicht richtig macht, verblasst im Vergleich zu dem, was es richtig macht.“ Die „brillante Balance zwischen Alt und Neu, zwischen Tradition und Umbruch“, es sei das 3D-Pokémon, das sich der Autor in den 90ern vorgestellt habe. „Es ist frisch. Es fühlt sich neu, aufregend und wie ein kraftvoller Neuanfang für die Serie an“.
Damit muss man natürlich nicht einverstanden sein, wenn man Arceus dann auch beendet hat und ggf. anderer Meinung ist. Aber es gibt hier schon einen gewissen breiten Konsens in der internationalen Presse.
Trotzdem und auch bei Gefallen: Mit den Performance- und Grafik-Problemen müssen Fans dennoch nicht leben und jede Kritik ist berechtigt – solange man es nicht übertreibt. Womit man nach aktuellem Stand als älterer Pokémon-Fan aber doch leben muss, ist, dass Pokémon weiterhin Kinder ansprechen soll und muss. Gibt es hier eine Lösung?
Das Generationen-Problem von Pokémon
Hin und wieder hat man dazu schon gehört, The Pokémon Company könne mit Pokémon zukünftig doch zweigleisig fahren. Eine Subserie für Kinder und eine Subserie für erwachseneres Publikum, ohne dabei die Wurzeln zu vergessen. Ich halte das gar nicht für so unpraktikabel. Sicher, ein Pokémon-Shooter darf’s nicht werden. Das würde der Marke zuwider laufen.
Es hat natürlich seine Gründe, dass Creature-Collecting-Games wie DokeV eine große Begeisterung entfachen. Sie vereinen Pokémon mit realistischer Grafik und modernen Gameplay-Elementen. Immer wieder hört man auch von „düsteren Versionen“ von Pokémon-ähnlichen Spielen wie Monster Crown. Auch das „Pokémon-MMO“ Temtem machte mit seinen Online-Elementen Schlagzeilen. Diese Spiele üben auf das erwachsene Pokémon-Publikum eine Faszination aus.
Game Freak und The Pokémon Company hätten jetzt die Chance, diesen Wunschtraum vieler Fans zu verwirklichen. Aus den Let’s-Go-Spielen könnte sich eine Subserie für die Allerjüngsten entwickeln. Die Main-Serie könnte die (umstrittene) Main-Serie bleiben. Und Legends könnte mit seinem Open-World-Ansatz, einigen frischen Mechaniken und Ideen und fortan vielleicht weiteren erwachseneren Elementen die ältere Fangemeinde ansprechen.
Die Zugänglichkeit steht im Grundgesetz
The Pokémon Company müsste dann aber einerseits Geld in die Hand nehmen und andererseits auf einen ganz wesentlichen Ansatz verzichten, der aber wohl nicht so einfach aus dem Pokémon-Grundgesetz zu streichen ist. Alle Pokémon-Spiele sollen so zugänglich wie möglich sein.
„Ich denke, die Macher verstehen es auch, dass es diese Wünsche gibt. Aber wir versuchen uns auch darauf zu konzentrieren, den Kern [von Pokémon] für jeden zugänglich zu machen“, sagte der Director of Consumer Marketing von The Pokémon Company, J.C. Smith, vor einer Weile.
Eine erwachsene Subserie müsste hier Verzicht üben. Aber wieso nicht? Und wer mag, kann natürlich auch weiterhin alle Spiele spielen. Dann aber gerne auch ohne lästige wie unnötige Performance-Probleme.
Der Launchtrailer zu Arceus
Bildmaterial: Pokémon-Legenden: Arceus, The Pokémon Company, Nintendo, Game Freak