Ich bin mal so frei für meinen Buchvorschlag 'Drachenläufer' den Schmökerecken-Thread zu eröffnen.
Es haben ja noch nicht alle das Buch beendigt bzw. begonnen, aber es schadet ja nicht, wenn das Topic dazu schon steht. Nachträglich kann auch gern etwas gepostet werden, auch für alle anderen Leute, die sich den Schmöker außerhalb unserer Aktion zu Gemüte geführt haben.
Meine Meinung zum Buch (Spoiler inclusive):
Die Geschichte um Amir hat für mich drei Sinn/Lebensabschnitte, die ich unterschiedlich wahrgenommen habe. Den Anfang fand ich stark (Kindheit), den Übergang zur Mitte auch (Flucht), die Mitte selbst am lauesten (Leben und Ehe in den USA), der Schluss war wieder ein kleines Hoch, allerdings eher unbefriedigend. Insgesamt hatte ich keine Motivationsprobleme, für mich las sich Drachenläufer recht flüßig und hatte besonders bis zur ersten Hälfte einen hohen Spannungsbogen für mich. Gegen Ende schwächte dieser aber ziemlich ab, weil es ja quasi nur zwei Optionen gab: Suhrab retten/in die USA bringen und Suhrab nicht retten/dem Schicksal in Afghanistan ausliefern. Für mich war das ein wenig zu kleindimensional, auch wenn durchaus vom Autor so einige Hindernisse in den Weg gestreut wurden, die dramatische Aufs und Abs brachten.
Daher kann ich insgesamt sagen, dass ich die Hälfte des Buches mochte, aber die andere Hälfte dahinter zurück bleibt.
Wie schon erwähnt, gefiel mir die Kindheit in Kabul. Für mich machte das kindliche und auch naive Leben und Handeln von Amir und Hassan diesen Abschnitt so schön. Hassan fand ich immer sympathisch, Amir in seinem Verhalten sehr interessant. Was ich auch sehr an dem Buch schätze ist das Thema 'Familie' und 'Freundschaft'. Das nahm Amir als Kind auch besonders wahr. Die Schilderungen wie er um die Liebe seines Vaters kämpft, fand ich sehr authentisch. Auch toll, war das Spannungsgefälle zwischen Hassan und Amir. Außerdem geschieht hier ja auch die Vergewaltigung von Hassan. Diese Stelle hatte mich sehr erschrocken und mitgenommen. Ich hätte es nicht erwartet. Der Blick auf das Buchcover (ich weiß ja nicht welche Version ihr habt) gibt mir daher immer einen schalen Nachgeschmack, wie Amir um die Ecke lugt... Auch wie der weitere Umgang zwischen Hassan und Amir stattfindet, wie er versucht seine Dienstboten auszuspielen und wie sie dann doch plötzlich abreisen müssen, war eine sehr emotionale Stelle, die mir gefallen hat. Dann wurde ja die Flucht beschrieben, eine Situation, die für mich bisher nie reflektiert wurde. Wie sie da so im Dunkeln und im Tanker waren, fand ich sehr toll geschildert.
Der mittlere Teil mit dem Leben in den USA ist nicht so spannend. Auch die Liebe zu Soraya empfand ich weniger romantisch. Aber ganz interessant ist bleibt der Bruch des Vaters, also wie er sich verhält, wie er die Klassenstellung wechseln muss, wie er erkrankt...
Und naja, das Ende wirkt mir zu konstruiert. Für mich ist es durchaus authentisch, dass Hassan und Amir Halbbrüder sind. Auch das Verhalten und Wesen von Ali und Baba werden in ein neues Licht gerückt. Das hat aufjeden Fall noch Potenzial. Die Rest ist allerdings zu Möchtegern-ritterlich. Auch wenn ich finde, dass Amirs Umgang mit 'der Schuld' gegenüber Hassan ja der moralische Motor des Buches ist, wird er vom Autor ja so hinkonzipiert, dass es eine Katharsis und Läuterung stattfinden muss... Ab hier finde ich es mehr kritisch, als gut. Und zwar ist für mich unglaubhaft, dass Assef, ein halbdeutscher, blonder Taliban ist und nach Hassan nun auch Suhrab vergewaltigt. Das ist mir zu abgedroschen und hat sehr viel Luft rausgenommen. Allerdings finde ich es gut, dass das Buch ein offenes Ende besitzt, was dann doch nicht zum klischeehaften Prinzip 'Schuld aufbürden, dann sich reinwaschen und keine Konsequenzen mehr leiden' gemünzt wird. Das ist dann wiederum sehr glaubwürdig für mich, dass Suhrab die Mundwinkel leicht zieht und es ein Lächeln höchstens andeutet.
Insgesamt finde ich das Buch unter dem Augenmerk 'Zwischenmenschliches und Famile' im Anfang sehr gelungen. Ansonsten sind mir die Taliban auch zu simpel dargestellt. Klar tun sie nichts Gutes. Aber wie Assef zum Oberbösewicht wird und dass er doppelmoralisch vorgeht ist mir als Antagonist zu plump und auch irgendwie an den Haaren herbeigezogen. Was ich an Drachenläufer schätze, ist auch die Darstellung vom kriegsfreien Leben in Afghanistan und dass es dies gab. Das halte ich für eine sehr wichtige Botschaft. Meiner Meinung nach ist Drachenläufer sehr empfehlenswert es mal zu lesen, allerdings kein großes Stück Weltliteratur.